Wissenschaftler zum „Toten Winkel“

Wissenschaftliche Informationen der Bundesanstalt für Straßenwesen(BaSt) – Gefährdung von Fußgängern und Radfahrern an Kreuzungen durch rechts abbiegende Lkw Info 8/​05

Etwa 21 Pro­zent der töd­lich ver­letz­ten Ver­kehrs­teil­neh­mer in Deutsch­land sind Rad­fah­rer und Fuß­gän­ger. Ein Teil davon wird von rechts abbie­gen­den Lkw erfasst und über­rollt. Im Rah­men eines For­schungs­pro­jek­tes wur­de das Poten­zi­al des seit­li­chen Lkw-Unter­fahr­schut­zes unter­sucht und der Ent­wurf eines umfas­sen­den Sicher­heits-Maß­nah­men­ka­ta­logs erar­bei­tet, der sich auf stra­ßen­bau­li­che, ver­kehrs-recht­li­che und fahr­zeug­tech­ni­sche Maß­nah­men bezieht.

In Deutsch­land ereig­nen sich jähr­lich schät­zungs­wei­se 135 Unfäl­le mit Per­so­nen­scha­den, an denen nach rechts abbie­gen­de Lkw betei­ligt sind. Oft­mals gera­ten die unge­schütz­ten Ver­kehrs­teil­neh­mer dabei unter den Lkw und wer­den von einer der Ach­sen über­rollt. Die­se Unfäl­le wei­sen eine beson­ders hohe Unfall­schwe­re auf. Eine Maß­nah­me zur Ver­bes­se­rung der Situa­ti­on war die 1995 erfolg­te Ein­füh­rung des Sei­ten­schut­zes, mit dem alle im Ver­kehr befind­li­chen Lkw, Zug­ma­schie­nen und Anhän­ger aus- oder nach­ge­rüs­tet sein müs­sen. Wei­ter­hin sol­len ver­bes­ser­te Spie­gel­sys­te­me den Fah­rer unter­stüt­zen. Tech­ni­sche Inno­va­tio­nen, ins­be­son­de­re im Bereich der Elek­tro­nik, haben zwi­schen­zeit­lich neue Mög­lich­kei­ten zur Unfall­fol­gen­min­de­rung und ‑ver­mei­dung eröffnet.

Untersuchungsmethode

In einer Lite­ra­tur­ana­ly­se über die bis­he­ri­gen For­schungs­er­geb­nis­se zum Unfall­ge­sche­hen von Lkw mit Rad­fah­rern und Fuß­gän­gern wur­den zunächst die Ein­fluss­fak­to­ren von Unfäl­len beim Rechts­ab­bie­gen und bis­he­ri­ge Lösungs­an­sät­ze näher unter­sucht. In Ver­su­chen wur­den Mes­sun­gen des Sicht­fel­des und unter­schied­li­che Anstoß­si­tua­tio­nen nach­ge­stellt. Zum Ein­satz kamen dabei ein Lkw mit Stan­dard­spie­geln und einer mit einem durch die Front­schei­be ein­seh­ba­ren Spie­gel­sys­tem (MIM-Fahr­zeug). Die Unter­su­chungs­schwer­punk­te lagen auf der akti­ven Sicher­heit (Sicht­pro­ble­me und Unfall-ver­mei­dung) und der pas­si­ven Sicher­heit (Sei­ten­schutz).

Das direk­te und das indi­rek­te Sicht­feld sind zen­tra­le Ein­fluss­grö­ßen für die Unfall­ri­si­ken von Per­so­nen durch rechts abbie­gen­de Lkw. Ins­be­son­de­re die unzu­rei­chen­de Sicht nach vorn und nach rechts berei­tet den Lkw-Fah­rern erheb­li­che Probleme.

Es gibt ver­schie­de­ne Lösungs­an­sät­ze, die Sicht des Lkw-Fah­rers und sei­ne Infor­ma­ti­on über die Ver­kehrs­si­tua­ti­on beim Rechts­ab­bie­gen zu ver­bes­sern. Dazu zäh­len bei­spiels­wei­se die Ver­wen­dung eines zusätz­li­chen Spie­gels oder die Ände­rung der Spie­gel­flä­che in Ver­bin­dung mit sei­ner Posi­ti­on am Fahrzeug.

Bei der Ana­ly­se von 90 Unfäl­len ergab sich, dass der Erst­kon­takt in der Mehr­zahl der Fäl­le (57%) im Bereich der rech­ten vor­de­ren Lkw-Ecke erfolgt. Ein Erst­kon­takt im Bereich des Sei­ten­schut­zes ist von eher unter­ge­ord­ne­ter Bedeu­tung (7%). Die Hälf­te der unge­schütz­ten Ver­kehrs­teil­neh­mer gera­ten noch vor dem rech­ten Vor­der­rad oder in des­sen unmit­tel­ba­rem Bereich unter den Lkw. Mehr als die Hälf­te (62%) wur­de über­rollt. Bau­stel­len- und Kom­mu­nal­fahr­zeu­ge waren mit 46% beson­ders häu­fig an den unter­such­ten Unfäl­len betei­ligt. Bei den Bau­stel­len­fahr­zeu­gen wird das durch die ver­stärk­te Sicht­pro­ble­ma­tik als Fol­ge grö­ße­rer Rah­men­hö­he mit verursacht.

Im Ver­suchs­pro­gramm wur­de her­aus­ge­fun­den, dass mit dem Stan­dard-Spie­gel­sys­tem erheb­li­che Sicht­pro­ble­me auf­tre­ten. Der­ar­ti­ge Pro­ble­me gab es bei den Tests mit dem Fahr­zeug mit ver­bes­ser­tem Spie­gel­sys­tem nicht. Der im Ver­suchs­pro­gramm unter­such­te Sei­ten­schutz redu­ziert die Gefahr für den unge­schütz­ten Ver­kehrs­teil­neh­mer, zwi­schen den Ach­sen unter den Lkw zu geraten.

Folgerungen

In dem erar­bei­te­ten Maß­nah­men­ka­ta­log zur Redu­zie­rung des Gefah­ren­po­ten­zi­als für Rad­fah­rer und Fuß­gän­ger durch rechts abbie­gen­de Lkw wird eine bes­se­re Auf­klä­rungs­ar­beit gefor­dert, da ein erheb­li­ches Infor­ma­ti­ons­man­ko der Ver­kehrs­teil­neh­mer über das Bewe­gungs­ver­hal­ten des Lkw und über die Sicht­mög­lich­kei­ten des Lkw-Fah­rers beim Rechts­ab­bie­gen fest­ge­stellt wur­de. Wel­chen Inhalt der­ar­ti­ge Kam­pa­gnen haben kön­nen, wird im For­schungs­be­richt beschrie­ben. Neben bau­li­chen Maß­nah­men an Rad­we­gen wer­den auch kon­struk­ti­ve Ände­run­gen an Lkw, wie ein zusätz­li­ches Fens­ter im unte­ren Tür-bereich, vor­ge­schla­gen. Um zu neu­en inno­va­ti­ven Lösun­gen des Sei­ten-schut­zes von Lkw zu kom­men, wird eine Ände­rung der bis­lang als Bau­vor-schrift wir­ken­den Richt­li­nie 89/​297/​EWG zu einer Wirk­vor­schrift vorgeschlagen.

Gefähr­dung von Fuß­gän­gern und Rad­fah­rern an Kreu­zun­gen durch rechts­ab­bie­gen­de Lkw, Ber­gisch Glad­bach, Bun­des­an­stalt für Stra­ßen­we­sen, 2004 (Berich­te der Bun­des­an­stalt für Stra­ßen­we­sen, Unter­rei­he „Fahr­zeug­tech­nik“, Heft F 54, Dezem­ber 2004) Preis: € 16,50

Autoren des Berichts:
Wal­ter Nie­wöh­ner„ F. Alex­an­der Berg, DEKRA AUTOMOBIL GmbH, Unfallforschung/​Crashzentrum Stutt­gart, Fach­be­treu­er der Bun­des­an­stalt für Stra­ßen­we­sen: Frank Nicklisch

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